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Title
Mythos Heldenplatz. Hauptplatz und Schauplatz der Republik


Author(s)
Stachel, Peter
Published
Wien 2018: Styria
Extent
192 S.
Price
€ 23,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Johannes Breit, Humboldt-Universität zu Berlin

1988, anlässlich des von offizieller Seite so betitelten „Bedenkjahres“ an den 50. Jahrestag des sogenannten „Anschlusses“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, gab das Wiener Burgtheater bei Thomas Bernhard ein Theaterstück in Auftrag. Bernhards Stück „Heldenplatz“ feierte seine Premiere im Kreuzfeuer der Kritik durch Politik und Medien, die ihm vorwarfen, „eine globale Beschimpfung Österreichs[, die] auch noch mit Steuergeldern finanziert wird“1, zu sein, behandelte das Stück doch die fortgesetzte Präsenz des Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich. Dieses Vermächtnis ist in „Heldenplatz“ durch die anfangs noch imaginären „Sieg Heil“-Rufe, die eine jüdische Familie vom Wiener Heldenplatz vernimmt, dargestellt, wobei die Rufe am Ende des Stückes real werden.

Bernhards Stück und die Aufregung darum verweisen auf den bedeutenden Symbolcharakter des Heldenplatzes in der politischen Selbsterzählung der Republik Österreich und ihrer Vergangenheitspolitik. Eine Bedeutung, die auch daran abzulesen ist, welches Potpourri an erinnerungspolitischen Zeichen dort vereint werden: So teilen sich den Platz im Zentrum Wiens die Reiterstandbilder Erzherzog Karls und Prinz Eugens mit dem Denkmal für die Gefallenen beider Weltkriege, einem Denkmal für die von den Nationalsozialisten politisch verfolgten Österreicher, dem Denkmal für die im Dienst getöteten Polizisten und Gendarmen und dem 2014 eröffneten – zwar eigentlich am angrenzenden Ballhausplatz gelegenen, aber trotzdem zur gedenkpolitischen Landschaft des Platzes zählenden – Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz, dem Deserteursdenkmal.

Diese Bedeutung, wie auch die Funktion des Heldenplatzes als „Bühne der politischen Repräsentation“ (Monika Sommer im Geleitwort, S. 8) hat der Historiker Peter Stachel in seinem Buch „Mythos Heldenplatz. Hauptplatz und Schauplatz der Republik“ beschrieben. Erstmals 2002 erschienen, hat er 2018 eine neue und überarbeitete Auflage des Buches vorgelegt, die nicht nur um Details bezüglich der Ereignisse seit 2002 erweitert wurde, sondern auch neuere Forschungserkenntnisse rund um die Namensgebung des Platzes miteinbezieht und ein Geleitwort der Direktorin des Österreichischen Haus der Geschichte, Monika Sommer, sowie einen Beitrag der Historikerin Heidemarie Uhl enthält.

Stachel, Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der Universität Graz und Mitarbeiter des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist kein Unbekannter in der historischen und kulturwissenschaftlichen Erforschung des Themas politischer Plätze. Als Bearbeiter des Projekts „Der konkrete Ort des Politischen. Zur Entstehung und Funktion politischer Plätze“2 des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat er bereits ausführlich zu diesem Thema publiziert.3

Das vorliegende Buch richtet sich allerdings dezidiert an ein nichtwissenschaftliches Publikum und verzichtet dementsprechend auf einen Anmerkungsapparat, einen Theorieteil und eine umfassende Diskussion des Forschungsstandes. "Mythos Heldenplatz" gliedert sich grob in drei Abschnitte, die nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet sind: Die Relevanz des Heldenplatzes als Ort in der Erinnerungspolitik und politische Bühne, die Geschichte des Platzes und seiner Gestaltung selbst und eine Revue seiner Nutzung in der Zweiten Republik als Überleitung zu einem Fazit.

Der erste Teil beginnt mit einer Diskussion der öffentlichen Sicht auf den Heldenplatz anhand ausgewählter Demonstrationen, die dort seit den Jahren 1999/2000, also der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung stattgefunden haben. Aufbauend einerseits auf den Demonstrationen gegen die Regierung Schüssel, die versuchte, den Platz möglichst füllend zu besetzen, andererseits auf den Versuchen rechtsextremer Kräfte, den Platz für ihre Proteste gegen eine Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht und für eine Kranzniederlegung am Denkmal für die gefallenen Soldaten am 8. Mai zu besetzten, argumentiert Stachel hier die Bedeutung des Heldenplatzes als „zentralen Gedächtnisort der Republik Österreich“ (S. 31). Diese Bedeutung erwachse allerdings nicht nur aus seiner zentralen Lage in Wien und seiner Nähe zu symbolisch und praktisch wichtigen Institutionen der Republik – Parlament, Präsidentschaftskanzlei, Bundeskanzleramt und Wiener Rathaus liegen alle in unmittelbarer Nähe des Heldenplatzes –, sondern auch aus seiner symbolischen Aufladung, die aus den Bildern der Hitler-Rede 1938 dort entstand.

Diese ist auch Thema des nächsten Kapitels. Am 15. März 1938 verkündete Adolf Hitler vom Balkon der Hofburg aus den sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Während dieser Akt selbst zwar für die Nazis von propagandistischer Bedeutung war, ist es die Masse von jubelnden Österreichern, die dem Heldenplatz seine symbolische Aufladung als „Symbol [...] für die Zustimmung eines breiten Teiles der Bevölkerung zu diesem Akt [dem Anschluss] in Form einer, die Grenze zum Hysterisch-Pathologischen zum Teil überschreitenden ‚Huldigung‘ an den neuen Herrscher“ (S. 43) verleihen.

Während die Assoziation zwischen Heldenplatz und sogenanntem Anschluss und damit zwischen dem symbolischen Ort und der NS-Vergangenheit Österreichs in der weiteren Folge des Buches mehrmals von Stachel nachgewiesen wird, hätte allerdings dieser Abschnitt von der Einbeziehung einer Visual History und der Bedeutung von Bildern für das kollektive Gedächtnis profitieren können: Zwar verweist Stachel auf die Bedeutung der Bildern von jubelnden und Hakenkreuzfahnen schwenkenden Österreicher/innen für die Prägung der Assoziation des Ortes mit dem Themenkomplex von Österreichs NS-Vergangenheit, allerdings hätte auch ein populärwissenschaftliches Werk durch eine explizitere Unterfütterung mit der Theorie rund um historische Bildgedächtnisse und kollektive Gedächtnisse4 an Qualität gewonnen.

Während sich das nächste Kapitel mit dem Heldenplatz in der österreichischen Literatur auseinandersetzt und neben dem unausweichlichen Thomas Bernhard auch Ernst Jandl oder die beißende Kritik Helmut Qualtingers als Herr Karl diskutiert, ist es der zweite Teil des Buches rund um die Geschichte des Platzes und seiner Gestaltung, in dem das Werk eine seiner bedeutenden Qualitäten zeigt. Auch ohne Anmerkungsapparat wird klar, dass Stachel hier tiefgreifende Recherchen und viel Aufwand betrieben hat, um die architektonisch-machtpolitische Geschichte des Heldenplatzes konzise darstellen zu können. Überzeugend wird hier die Neugestaltung von Wiens innerer Stadt im 19. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Liberalismus und der Notwendigkeit neuer Legitimation von Herrschaft, auch in architektonischer, quasi in Stein gemeißelter Form, in Verbindung gebracht. Stachel fügt sich hier in die neuere Forschung ein, die diesen Abschnitt der Habsburger Geschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als „emergence of a liberal Empire“5 beschreibt.

Als besonders hervorhebenswert in diesem Abschnitt kann auch Stachels Diskussion der beiden Reiterstandbilder am Heldenplatz, besonders das von Prinz Eugen gelten. Stachel handelt anhand dieses Standbildes, seiner erinnerungspolitischen Verwendung und dem Wandel der verschiedener Rezeptionen der Figur des Prinz Eugen die Veränderungen des offiziellen politischen Legitimationsnarrativ des jeweiligen Gemeinwesens ab und resümiert treffend: „Gerade dieser Kampf um die symbolische Ausdeutung des Prinz Eugen verweist auf einige grundlegende Strukturen symbolischer Repräsentation im kollektiven Gedächtnis: Um zum über die Schwellen politischen Systemwandels hinwegwirkenden säkularen Schutzpatron Österreichs werden zu können, musste Prinz Eugen erst all seiner historischen Individualität entkleidet werden“ (S. 152) – eine überzeugende Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse zur Bedeutung der Figur Prinz Eugens, wie sie zum Beispiel Elisabeth Großegger ausführlicher beschrieben hat.6

Desweiteren enthält „Mythos Heldenplatz“ Kapitel zu den Denkmälern am Heldenplatz, inklusive eines Gastbeitrags von Heidemarie Uhl zur Geschichte der „Heldendenkmäler“ für gefallene Soldaten und politisch Verfolgte, sowie zur diversen Nutzung des Heldenplatzes in der Zweiten Republik. Gerade letzterer Abschnitt, der ob der vielfältigen Nutzung – inklusive eines Trauerzugs für Leopold Figl und eines Empfangs für Karl Schranz – kursorisch bleiben muss, offenbart allerdings auch eine Lücke in Stachels Werk. So ist der Nutzung des Heldenplatzes als politische Bühne in der Ersten Republik kein eigenes Kapitel gewidmet und das Thema nicht ausführlich besprochen worden – obwohl zum Beispiel der Historiker Ernst Hanisch über die Bedeutung des 1923 auf dem Heldenplatz abgehaltenen Katholikentages als Gegeninszenierung zum „roten Wien“ geschrieben hat.7

Zusammenfassend handelt es sich um ein umfassendes und interessantes Buch für ein nichtwissenschaftliches Publikum, das die Bedeutung und Geschichte des Heldenplatzes als zentraler Ort österreichischer Politik und kollektiven Gedächtnisses auf verständliche und spannende Art und Weise zusammenfasst. Während das Fehlen des Anmerkungsapparates etwas ist, das als Konzession an das Format verstanden werden kann, hätte das Buch von einer ausführlicheren Diskussion von Theorie profitierten können. Denn während Stuart Hall oder Pierre Noras Les lieux de mémoire im Fließtext erwähnt werden, kann bei einem nichtwissenschaftlichen Publikum nicht angenommen werden, dass Leser/innen mit diesen Referenzen vertraut sind.

Anmerkungen:
1 Oliver Bentz, Thomas Bernhard. Dichtung als Skandal, Würzburg 2000, S. 82.
2 Vgl. https://www.oeaw.ac.at/ikt/forschung/gedaechtnis/der-konkrete-ort-des-politischen/ (22.12.2018).
3 Siehe u.a. Rudolf Jaworski / Peter Stachel (Hrsg.), Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich, Berlin 2007; oder: Peter Stachel, Versuchsstationen des Weltuntergangs oder Laboratorien der Moderne? Urbane Zentren der Habsburgermonarchie um 1900, in: Sylwia Werner / Bernd Stiegler (Hrsg.), Laboratorien der Moderne. Orte und Räume des Wissens in Zentraleuropa, Paderborn 2016, S. 13–30.
4 Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006.
5 Pieter M. Judson, The Habsburg Empire. A New History, Cambridge 2016, besonders S. 218–269.
6 Elisabeth Großegger, Mythos Prinz Eugen. Inszenierung und Gedächtnis, Wien 2014.
7 Ernst Hanisch, Wien, Heldenplatz, in: Transit. Europäische Revue, Heft 1 (1998), 5, S. 122–140.

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